Geschrieben Juni 2009
So langsam muß ich in die Gänge kommen, wenn ich bis zum UTMB fit sein will. Dieses Jahr habe ich viel zu wenig Trainings-Km gelaufen und noch keinen "richtigen" Lauf. Ok, letzte Woche waren da die 50km von Rengsdorf beim Westerwald-Lauf und das hat ganz gut geklappt, aber mit "richtigen" Läufen meine ich so was wie Brocken-Challenge oder Hollenlauf. Also brauche ich was "echtes". Und da gibt's einen kleinen Geheimtip von Markus Flick, mit den bedeutungsschweren Stichworten: 100km, Ardennen und Belgien. ( Website des Veranstalters ) Erstaunlicherweise soll sogar die Sonne scheinen. Ich hab' geglaubt, in den Ardennen würde es IMMER Regnen. Muß wohl daran liegen, daß Olne-Spa-Olne und La Magnetoise immer im Herbst und Winter liegen :-)
Samstag abend, 18:00 Markus kommt mich abholen und anderthalb Stunden später sind wir am Sportheim in Trois-Ponts. Wir mussten einmal nach dem Weg fragen, wobei es sich als gut erwiesen hat, daß wenigstens er etwas Französisch spricht. Ich habe zwar vorher die aller wichtigsten Wörter gelernt, (Begrüssung, Wo ist die Toilette, Bitte, Danke, Wasser, Rufen Sie einen Arzt und eine Verabschiedung) aber eine Wegbeschreibung zum Fußballplatz ist nicht drin.
Am Sportheim holen wir unsere Startunterlagen ab und bekommen dabei, wie angekündigt, unsere 15 Startgeld wieder, denn der Lauf ist gratis. Man muß nur bei der Anmeldung Geld überweisen, um Spaßmelder zu vermeiden. Wir essen noch was und rollen dann unsere Schlafsäcke und Isomatten in einem der vielen Umkleide- und Duschräume aus.
03:30, der Wecker klingelt. Essen, Trinken, Zähneputzen, Sachen packen: alles läuft automatisch und 100mal geübt. Dann gibt's ein Briefing, aber natürlich nur auf Französisch. Es sind wohl außer Belgiern und Franzosen auch einige Niederländer anwesend, aber Markus und ich sind die einzigen Deutschen hier. Da ich kein Wort verstehe, schaue ich in die Gesichter der anderen Starter: ernste Gesichter, Windgesichter. Diese Gesichter haben tausend Nächte in Wind und Hagel verbracht, tausend Tage durch die Sonne gelaufen und tausend Lachfalten gratis dazu erhalten. Ich fühle mich wohl hier und sehe nicht nur an den strammen Waden den Trinkrucksäcken und Gamaschen, daß ich hier in der Oberliga der Trail-Läufer starte, sondern an den Augen. Raider, wie es auf Französisch heißt. Ich bin sehr demütig, unter gut 200 so hochkarätig aussehenden Läufern zu stehen und ein klein bisschen Stolz dazu.
Briefing mit den Windgesichtern
Dann gehen wir vor die Halle und stehen im ersten Morgengrauen auf der Zufahrt. Es gibt einen großen Start- Ziel- Bogen, aber alle stehen hier, also stellen wir uns ganz am Ende dazu. Dann ruft der Veranstalter: "Allé Allé!" und alle drehen sich um, zu uns um! , und laufen los. Markus ist topfit und könnte hier wahrscheinlich, wie beim Hollenlauf um den Sieg mit laufen, aber ich wollte sicher nicht an der Spitze des Feldes starten. Die ersten Kilometer werde ich also permanent überholt, bis nach einer Stunde niemand mehr kommt. Bin ich der letzte? Einer der letzten Läufer hatte einen Fahrradfahrer als Begleitung: war das der Besenmann? Da ich keine Ahnung habe, ob es bei diesem Lauf ein Zeitlimit oder Cutoff-Zeiten gibt, mache ich mir Sorgen.Morgen in den Ardennen
Am ersten Ravitaillement (meine Schwester, die selber Chefärztin ist, meint das würde sich mehr nach Wiederbelebung als nach Verpflegung anhören:-) überhole ich einen ganzen Schwung anderer Raider, die hier sitzen oder liegen. Da mein Trinkrucksack wegen der Morgenkühle noch relativ gut gefüllt ist, trinke ich nur ein paar Becher Wasser und laufe weiter.Immer alleine durch den Wald
Die Ardennen sind eine sehr wasserreiche Gegend. In jedem Tal fließt ein kleiner Fluß oder Bach. Daraus zu trinken traue ich mich allerdings nicht, obwohl mein Rucksack bei Km 45 Trocken ist. Ich hätte wohl doch an der ersten Ravitaillement voll tanken sollen! Durst, Wasser, Sonne. Bald erreiche ich bei Km 53 (etwa) die zweite Wasserstelle und überhole wieder etliche Raider. Diesmal mache ich den Sack ganz voll und trinke noch etliche Becher dazu, bevor ich weiter laufe. Trotzdem ist mein Sack wieder leer, bevor ich an der dritten und letzten Labestelle nachfüllen kann. Diesmal entspringt jedoch gleich neben dem Weg eine kleine Quelle dem Boden und ich trinke erleichtert einige Hände voll. Ohhh, tut das gut. Außerdem tauche ich, wie schon an den Bächen zuvor, mein Kopftuch ins Wasser und ziehe es herrlich kühl und nass wieder an.Blühender Ginster am Weg
Ab hier wird mir der Weg doch sehr lang. Die Km ziehen sich ohne Ende und ich trotte immer noch alleine durch Wälder und Felder. Die Strecke ist sehr abwechslungsreich, führt selten durch die kleinen Orte und immer hübsch wellig durch die Landschaft. Langeweile kommt da nicht auf, aber jetzt, nach gut zwölf Stunden, eine gewisse Ermüdung. Das Fehlen von "richtigen" Läufen macht sich jetzt böse bemerkbar und ich würde gerne ankommen. Oder wenigsten jemand zum reden haben. Grade in dem Moment, als hätte er mich gehört, ruft Markus auf dem Handy an. Er ist schon im Ziel und fragt, ob er noch Duschen kann ohne meinen Zieleinlauf zu verpassen. Kein Problem ich bin etwa bei Km 88 oder 89 und habe noch gefühlte Ewigkeiten vor mir. Aber seine Stimme wirkt wie ein Weckruf auf mich und auf einmal geht es wieder.Bachquerung auf Belgisch
Aber es ist der letzte Berg und irgendwann bin ich oben. Schon seit einiger Zeit habe ich jemanden hinter mir gehört, der jetzt langsam in Sicht kommt. Aber wie so oft, kommt kurz vor dem Ziel bei mir der Ehrgeiz durch. "Wenn Du mich auf den letzten 95km nicht überholt hast, dann mußt Du jetzt schon was bieten, um vorbei zu kommen" denke ich mir und lege eine Schaufel Kohlen nach. Und es geht runter, schnur grade auf einem breiten Forstweg steil runter. Auf etwa zwei Kilometer verlieren wir hier etwa 250 bis 300 Höhenmeter, was für mittelgebirgs-verhältnisse schon mehr als beachtlich ist. Aber meine Knie halten ohne zu meckern und als ich unten ankomme, habe ich schon ein paar hundert Meter zwischen mich und meinen Holger Meier gebracht (wer Holger nicht kennt möge den Greif-Rundbrief lesen).