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Christian Hottas - Gar nicht verückt ist auch nicht normal!

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2017 - Teenager-Erziehung und Laufen

Geschrieben Juni 2017

Albtraum: die Verschmelzung von Erziehung und Laufsupport.

Personen: übellaunige Läuferin und der beste Supporter der Welt
Renn-Modus: als Medaille im Ziel winkt eine Universal-Qualifikation um immerfort bei allen Läufen dieser Welt starten zu dürfen.
Aber wenn die Läuferin hier kein Finish schafft, darf sie lebenslang nur noch bei drittklassigen Dorfläufen starten. Außerdem muss der Supporter auf ewig das Schild "Ich habe versagt!" um den Hals tragen und ein saftiges Bußgeld zahlen.

Ich habe die Läuferin aus dem Bett bekommen und ihr ein leckeres, gesundes Frühstück serviert. Das sie mich keines Blickes würdigt und weder: "Guten Morgen" noch sonst etwas sagt: geschenkt. Hauptsache wir schaffen es pünktlich zum Start. Ok, ich hoffe, dass sie ihren Laufrucksack ordentlich gepackt und alle Papiere, die die Rennleitung sehen will, ordentlich bearbeitet sind und springe mit ihr ins Auto.
Geschafft, wir kommen rechtzeitig an und sie sagt immerhin: "Tschüss" bevor sie zwischen ihren Freundinnen im Starterfeld verschwindet.

Meine erste Station bei Km 4. Ich baue meinen Tisch auf, Essen, Trinken, Sonnenschirm und Liegestuhl. Sie kommt, ist begeistert und erzählt fröhlich von den ersten Kilometern, den netten anderen Läuferinnen und wie bescheuert die Rennleitung ist. Voll die Cutoff-Zeiten, wie krass ist das denn, Altaaa. Bevor sie weiter läuft, muss sie erst mal Handy checken. Irgendwann am Ende des Feldes trabt sie gemütlich weiter.

Einige Stationen später, mein Tisch ist aufgebaut, ich warte schon länger. Endlich klingelt mein Telefon: der Rennleiter ist dran und möchte einen Gesprächstermin mit mir. Die Lage ist Ernst, denn meine Läuferin hängt weit zurück, mault die Streckenposten an und braucht bei den Cut-Offs schon zugedrückte Augen. Ich entschuldige sie wortreich und vor Optimismus sprühend. Natürlich wird sie das schaffen, kein Problem!

Sie kommt irgendwann. Als ich ihr das Problem mit den Cut-Offs erkläre, reagiert sie wie erwartet: "Stress mich nicht, chill ma" und erst mal am Handy chatten. Ich versuche, ihr Mut zu machen und erkläre, dass sie das Rennen locker schaffen kann, wenn sie ein bisschen mehr Druck auf die Sohlen gibt. Etwas weniger Pause, ein bisschen mehr Tempo und mehr Konzentration um weitere Verläufer zu vermeiden. Dann könnte sie den nächsten Checkpoint gut im Zeitlimit erfüllen und sich danach sogar einen Vorsprung raus arbeiten. Ich ernte genervtes Augenrollen.

Ein neuer Anruf, diesmal von meiner Läuferin. Ob ich sie irgendwo abholen und fahren könnte. Ich versuche ihr ganz vorsichtig zu erklären, dass das gegen die Regeln verstoßen würde und ich das leider grade nicht könnte. Als Finisher wird nur gezählt, wer die Strecke selber gelaufen ist. Worte wie "Unfair!" und "Erpressung!" knallen mir um die Ohren, bevor sie auflegt. Ich versuche sie zurück zu rufen, um raus zu finden, wo sie grade steckt. Ich könnte zu ihr fahren, sie motivieren, anfeuern, ihr Eis, Power-Riegel oder ein Sieben-Gänge-Menü zaubern. Aber sie geht nicht mehr dran. Handy ist lautlos. Meine Whatsapps bleiben ungelesen, während ich mit meinem Tisch alleine im Wald warte. Vorhin habe ich noch andere Supporter gesehen, die mir voller Stolz erzählt haben, wie weit ihre Schützlinge schon gekommen sind und wie sehr sie sich auf die Abschlussparty mit der Siegerehrung freuen. Lächeln und Winken, einfach lächeln und winken.

Am übernächsten Platz kommt einer vom Orgateam mit ernstem Gesicht zu mir. Meine Läuferin hätte mindestens ein mal abgekürzt. Ich rede mir den Mund fusselig, werfe mich in den Staub und reinige sein Auto mit feinster Handwäsche, bevor ich die Disqualifikation gegen eine Zeitstrafe tauschen kann. Unter hochgezogenen Augenbrauen erklärt der hartherzige, gemeine und total unfaire Orga-Doof mir, dass das mit den Zeiten dadurch auch nicht besser geworden sei. Ob ich meine Läuferin nicht lieber aus dem Rennen nehmen wollte? Sie wäre für solche Läufe doch eigentlich gar nicht geeignet? Aber ich würde schon wissen, was ich will. Ich muss nur noch unterschreiben, dass ich ausgiebig belehrt worden bin, auch über die Höhe des Bußgeldes und darf alleine im Wald zurück bleiben, wo ich in blindem Frust ein paar Bäume umtrete.

Endlich kommt meine Läuferin angeschlendert. Ich begrüße sie überschwänglich und bewirte sie auf das beste. Alles was sie möchte, würde ihr jeden Wunsch erfüllen. Sie nimmt es gnädig hin, das Gesicht genervt und leidend. Ich weiß, dass sie etwa so harmlos ist wie Nitroglyzerin und widerspreche ihr nur sehr ungern. Die Rennleitung ist gemein, die Strecke doof, der Weg schlecht, das Höhenprofil völlig anders als in der Ausschreibung beschrieben und alle anderen haben viel bessere Schuhe! Das ist mein Sichwort: "Schuhe!" Ich bin sofort in meinem Element: nur eine halbe Tankfüllung entfernt gibt es ein Geschäft, was diese Schuhe, die sie unbedingt braucht, haben soll. Als perfekter Supporter frage ich sie natürlich nicht, warum sie sich diese Schuhe nicht vorher gekauft und eingelaufen hat. Wie könnte ich? Statt dessen überprüfe ich kurz mein perfekt sortiertes Auto und finde alles Werkzeug, was ich brauchen könnte, um in den Laden ein zu brechen. Denn selbstverständlich würde ich ohne mit der Wimper zu zucken ALLES für meine Läuferin machen. Leben? Sterben? Töten? Egal: ein perfekter Supporter macht ALLES!
Als ich meiner Läuferin begeistert mitteile, dass ich ihr sofort die besagten Schuhe besorgen würde und frage, welche Farbe sie sich wünscht, bricht sie in Tränen aus und beschimpft mich. Ich hätte ja keine Ahnung und würde gar nichts verstehen und wäre der unsensibelste Supporter der Welt.

Vermutlich hat sie recht: ich bin als Supporter ein Versager. Sofort nehme ich einen Kredit auf und engagiere eine Truppe aus Therapeuten, Masseuren, Physiologen, Psychologen, Orthologen und zur Sicherheit auch noch zwei Ornithologen. Jetzt steht das Rennen für uns auf Messers Schneide, es gilt alles. Außerdem kaufe ich einen Kühlanhänger, eine mobile Sauna und einen Rockstar-Tourbus, damit die Medizin-Truppe und die Läuferin optimal arbeiten können.

Tatsächlich ist sie begeistert. Der Masseur und der Therapeut erklären ihr mit bewundernswertem Einfühlungsvermögen, wie super sie eigentlich im Rennen liegen würde. Die Psychologin ist leider eine negative Zicke, die meiner Läuferin unumwunden erklärt, dass nur mit großer Eigenleistung ab sofort eine Chance auf ein Finsh hätte. Und sie stellt obendrein sehr nüchtern fest, dass eine Läuferin ohne Leistungsbereitschaft auch nur zu drittklassigen Dorfläufen gehören würde. Dann kassiert die Psychologin und verschwindet.

Diese Geschichte hat noch kein Ende. Was wird passieren? Bleibt die Läuferin mit dem Masseur im TourBus, bis ich pleite bin? Werde ich ein Lied von St.Francisco und zerrissenen Jean summen, und Zigaretten holen gehen? Wird es doch noch ein Happy-End? Et küt wie et küt un Et hätt noch emmer joot jejange

To be contiued

Epilog: ich dachte bei dem Text an all diesen Wahnsinn in der Schule: Elternsprechtage, Notendruck, Zukunftsangst, Leistungsdruck, Nachhilfe, Versagensängste bei allen Beteiligten, etc. etc. Die Pflicht, jemanden Unterstützen zu müssen, der das nur bedingt einsieht und sich innerlich jedes Jahr mehr dagegen wehrt.
So ist diese Kurzgeschichte entstanden, in der meine Erfahrungen mit meinen eigenen Kindern, die ich beide über alles liebe und bewundere, und die von vielen anderen Eltern und Kindern einfließen. ZZgl. der unbeschränkten literarischen Freiheit zu erfinden und maßlos zu übertreiben.



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