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2017 - La Magnetoise - Die volle Packung abgeholt!

Geschrieben Februar 2007

Der La Magnetoise ist ein noch recht unbekannter Gelände-Lauf in Belgien. Sein großer Bruder, der Olne-Spa-Olne, vom selben Ausrichter ist nicht nur ein wenig bekannter, er hat mit gut 300Startern auch drei mal soviel Teilnehmer. Ansonsten sind sich die beiden Läufe von den Rahmendaten her recht ähnlich: gut 64km lang, gut 1900HM (im Französischen heißt das viel schöner: Dénivelé positif) und eine Strecke, die ein echter Trial-Lauf sein will. Start ist, wie auch beim OSO, im Vereinsheim des Veranstalters.

Dort waren Markus (Weißberg), Lars (Weishund) und ich am Sonntag morgen pünktlich gegen halb sieben. War hatten uns vorher per Mail angemeldet und mussten nur noch unsere sieben Euro Startgebühren bezahlen, was schnell erledigt war. Wir packen noch unser Sachen zusammen, als sich so ganz langsam Aufbruchstimmung bei den Startern einschleicht. Da der eigentliche Lauf erst gut 10km entfernt startet, steht vorher noch ein Bustransfer dorthin an. Gemeinsam mit den Anderen gehen wir also aus der gemütlich warmen Stube nach draussen. Es ist noch fast dunkel und schüttet wie aus Eimern. Dazu weht ein schneidender Wind, denn es sind nur gut sechs Grad. Brr! Als wir nach ein paar 100m am Bus ankommen, sind wir alle schon nass geregnet und damit gut auf den kommenden Lauf vorbereitet. Während der etwa 20minütigen Fahrt im Bus, habe ich Gelegenheit, die anderen Starter in Ruhe zu betrachten. Ich sehe Gesichter, vor allem viele interessante Gesichter. Es sind kaum wirklich schöne Menschen hier im Bus, jedenfalls nicht schön im Sinne von Fernsehtauglich. Keine ewig grinsenden Dummschwätzer, keine lächelnden Langweiler, keines dieser austauschbaren ich-strahle-in-die-Kamera Gesichter. Hier sehe ich scharfe Augen, scharfe Nasen, energische Stirnen und fein gemeißelte Linien. Ich fühle mich umgeben von echten Windgesichtern und geniesse das Studium der vielen markanten Züge.

Der Bus ist am Ziel, bzw. am Start, und wir steigen ohne Hektik wieder aus. Der Platzregen ist in ein leichtes Nieseln über gegangen und es ist auch schon fast Tag. Da Markus und ich uns auf Deutsch unterhalten, treffen wir tatsächlich einen weiteren Landsmann, der hier schon mal gelaufen ist, und uns den Tip gibt, die erste Hälfte wäre die anspruchsvollere. An den Spruch erinnere ich mich genau, denn ich habe mich über viele Km an die Hoffnung geklammert, er möge wahr sein.

Denn der erste Teil ist wirklich beinhart. Es geht steil bergauf und bergab, fast immer auf kleinsten Trampelpfaden zwischen den Felder hin. Der Weg ist sehr gut markiert und praktisch nicht zu verfehlen, obwohl wir später auch das geschafft haben. Doch dazu später. Zunächst zieht sich die Strecke mit immer steileren Wiesen und immer nasseren Füßen quer durch die Ardennen: eigentlich genau das was ich hier bestellt hatte. Da es seit Tagen fast durchgehend geregnet hat, sind die Pfade und Wege in einem sehr guten Zustand für einen Cross- oder Trial-Lauf. Es ist tief verschlammt, teilweise selbst auf der Ebene kaum zu laufen und es regnet die ganze Zeit. Zwar nimmt der April schon merklich Anlauf, denn überall aus dem Boden sprießen die ersten Triebe von unzähligen Krokus (sogar ein paar einzelne Blüten habe ich gesehen!) und in jeder Stunde Regen sind gut zehn Minuten Sonnenschein, aber im Wesentlichen herrscht kalter Regen und scharfer Wind.

Laut Plan gibt es zwei Versorgungstellen, eine so bei Km 20 und die andere irgendwo hinter Km 40. Nur die erste kommt einfach nicht. Immer noch ein Berg und noch ein Wald und noch eine Wiese: aber keine Wasserstelle. Mein Trinkrucksack ist schon verdächtig leicht, als der Stand endlich auf einer windigen Kuppe am Straßenrand auftaucht. Ein kalter und ungemütlicher Platz, aber die Helfer sind freundlich und kippen reichlich Frischwasser in meinen Rucksack. Wir finden sogar jemand, der uns den aktuellen Km-Stand auf Englisch sagt: erst Km 22! Oh Shit, wir sind schon gut drei Stunden unterwegs und erst Km 22. Ich habe mindestens auf Km 25 gehofft. Nun gut: mir wird kalt und wir müssen weiter.

Tatsächlich wird es jetzt ein kleines Bischen leichter zu laufen, zumindest sind die Berge etwas weniger steil. Trotzdem macht sich bei mir die Erschöpfung breit und ich bekomme mein übliches Km30-Tief. Immer langsamer geht es voran und ich fordere Markus mehrfach auf, sein eigenes Tempo zu gehen, anstatt auf mich zu warten. Vielleicht ist der Eindruck auch falsch, aber ich habe das deutliche Gefühl, er könnte wesentlich schneller laufen. Schliesslich ist er vor ein paar Monaten auf dem OSO eine lockere Halbe Stunde vor mir angekommen und er schimpft auch viel weniger als vor drei Wochen bei der Brocken-Challenge. Das kann nur bedeuten, daß er heute wirklich gut drauf ist, und ich einfach nur langsam. Tatsächlich schleppe ich eine leichte Erkältung mit mir rum, die mir einfach den Saft aus den Knochen zieht. Meine Beine sind fit, auch die Muskeln machen problemlos mit, aber grade Bergauf, wo es auf die Kraft ankommt, falle ich jedesmal zurück. Da Markus sich aber hartnäckig weigert, mich mit meinem Selbstmitleid alleine im Schlamm zurück zu lassen, muss er sich jetzt die ganze Zeit mein weinerliches Gejammer anhören.

Nach einer ganz langen, nicht wirklich steilen, Steigung, grade so steil, daß ich eben nicht laufen kann, fühle ich mich total fertig. Eigentlich denke ich schon ans Aufhören, da kommt von hinten ein geschlossener Trupp Französisch sprechender Läufer. Ich weiß, wenn ich mich jetzt überhohlen lasse, dann habe ich innerlich auf gegeben. Also versuche ich alles, dran zu bleiben. Es folgt ein eben so langes, flaches Gefälle auf dem wir alle zusammen die Waldwege runter laufen. Da meine Beine immer noch frisch sind, und auch die Knie gar nicht meckern, kann ich hier gut mithalten. Ich werde endlich wieder so richtig warm und auch die gute Laune kehrt zurück. Je steiler es wird, desto mehr Spaß habe ich an der Rennerei denn zum richtig steil Bergabrennen brauche ich halt nur die Beine und keine Kondition. Auf diesem Stück fühle ich mich auch im Verhältnis zu Markus nicht mehr so als Bremse des Gespanns, denn ihm fällt das Bergablaufen nicht ganz so leicht wie mir. Seine Oberschenkel monieren das Gefälle.

Die zweite Verpflegungsstelle bei Km 45 ist ein genauso kalter und zugiger Platz wie die erste, nur daß es hier statt zu nieseln mal so richtig wie aus Eimer regnet. Ok, ich habe es so gewollt. Ich gebe es zu: ich wollte heute so richtig die volle Packung aus Schlamm, Kälte, Regen und Crosslauf. Ich wollte heute so richtig leiden. Ich habe heute morgen sieben Euro bezahlt, damit ich mich so richtig quälen kann, ich gebe es ja ganz offen zu. Buaähhh, was war ich für ein Idiot! Jetzt will ich nur noch nach hause. Ich will ankommen und mich ausruhen, ich kann nicht mehr. Immerhin waren wir auf dem zweiten Drittel tatsächlich etwas schneller, als auf dem ersten: dass gibt doch Anlass zur Hoffung.

Aber noch sind gut 20Km zu laufen. 20Km, für die wir heute morgen immerhin Drei Stunden gebraucht haben. Und auch jetzt wird die Strecke noch nicht wirklich leicht. Wir erkennen jetzt manche Stellen wieder, die wir schon beim OSO gelaufen sind, allerdings teilweise in anderer Richtung. Auch sind es immer nur wenige Km auf den bekannten Pfaden, bis wir uns wieder auf Neuland befinden.

Auf einem schlammigen Waldpfad kommt uns ein Läufer entgegen: wir haben uns verlaufen! Glücklicherweise ist die richtige Abzweigung nur gut 30m hinter uns, so daß uns der Läufer vor Schlimmerem bewahrt hat. Er stellt sich als Pascal vor und spricht ausschließlich Französisch. Da Markus und ich nur Englisch und Deutsch können ist die Unterhaltung recht einseitig: Pascal erzählt die ganze Zeit, und wir hören erstaunt zu. Ab und an lasse ich ein: ja ja fallen, damit es nicht ganz so eintönig klingt. Pascal macht deutlich, daß er vorhat bis zum Ziel mit uns zusammen zu bleiben und ich fürchte schon, er würde uns bis dahin auf Französisch zu texten, als der Weg plötzlich endet. Der Waldweg bildet hier eine Sackgasse an der Rückseite einer Art Heiligen-Park oder so. Markus meint sich zu erinnern, daß wir beim OSO durch diesen Park durch gelaufen sind, und ich glaube, daß er recht haben könnte, bin aber nicht ganz sicher. Während Pascal den Weg voraus durch die Dornen nach einer Markierung absucht, möchte Markus durch den Park gehen, in der Hoffung, die Strecke werde wohl ähnlich verlaufen wie beim OSO. Ich selber setzte mich an Ort und Stelle auf einen Baumstumpf und ruhe mich erst mal aus, als Pascal von weitem ruft und winkt. Als wir an der Stelle ankommen, ist er allerdings schon wieder weg: so wird das Nichts mit dem gemeinsamen ankommen.

Ein paar Km weiter kommen wir mitten in einem Wald an eine dritte Verpflegungsstelle. Ich frage Markus nach seiner Einschätzung, wie weit es noch ist und er hofft, es wären deutlich unter 10km übrig. Es gibt Kekse und Rosinen, Wasser und Iso und die nette Dame am Stand erklärt und mit bezauberndem Lächeln, daß es nur noch Neun Km wären. Na das ist doch zu schaffen!

Aber die neun Km ziehen sich hin. Es sind die längsten neun Km meines Lebens, denke ich. Markus hat eine ganz schicke Uhr mit Höhenmesser dabei, die er beim Loslaufen noch frisch geeicht hat, und rechnet aus, wie viele Höhenmeter wir wohl noch zu machen haben. Laut Veranstalter müssen wir alles in allem 1900Hm zusammen bringen. Und dann kommt es: Markus sagt mir, wir könnten noch lange nicht im Ziel sein, wir müssten noch gut 500Hm machen!

Ich breche innerlich zusammen. Noch weitere 500Hm! Immer wieder murmele ich vor mich hin: das schaffe ich nicht..; das schaffe ich einfach nicht..“. Klar ist das ziemlich destruktiv, aber ich bin geschockt. Markus versucht wieder mich auf zu bauen und zu motivieren aber ich kann immer nur an die 500Hm denken. Auch als er drauf kommt, daß er seine Wunder-Uhr ja auf den Start geeicht hat und das Ziel gut 10km und evtl auch etliche Hm davon entfernt ist, tröstet mich das nur wenig. In einem Ort kommen uns wieder zwei Läufer entgegen: wir sind schon wieder falsch! Das kommt davon, wenn man so wie ich verzweifelt mit dem Kopf nach unten, den Blick auf Markus’s Fersen, dahin latscht. Aber wir haben auch diesmal Glück, denn der richtige Pfad zwischen zwei Häusern hindurch liegt auch hier nur wenige Meter entfernt. Nicht desto Trotz sind wir noch lang nicht im Ziel und ich schnaufe statt dessen wie Walross hinter Markus ein Bachbett rauf. Wahrscheinlich ist dieser Knöcheltiefe Bach in seinem steinigen Bett normalerweise ein Weg oder Pfad: heute ist es ein Bach und meine Schuhe werden für einen Km vom Schlamm befreit. Danach geht es wieder in die Matsche.

Längst verfluche ich die Dame am letzten Stand mit ihren neun Kilometern. Ich hasse sie und bin wütend, daß sie keine Ahnung über die Strecke hat. Wir sind seit dem schon mindestens gefühlte 12km gelaufen und immer noch kein Ziel in Sicht. Wenn ich sie je wieder sehe, werde ich sie vielleicht erwürgen. Da vorne kommen mir ein paar Häuser bekannt vor, plötzlich keimt wieder neue Hoffnung in mir! Ich glaube, hier sind Thomas und ich beim OSO gelaufen! Markus rufe ich nur noch ein paar 100m! Ich bin überzeugt, das Ziel schon zu sehen, ich bin auf einmal ganz sicher, daß wir es endlich geschafft haben. Aber nein: es ist nur ein Fussballplatz. Jetzt erinnere ich mich auch daran: beim letzten mal bin ich auf die selbe Täuschung rein gefallen. Trotzdem weiß ich jetzt, genau wo ich bin: noch gut 300m bis zum Ziel. Ich rufe Lars zu mir, und wir laufen zu dritt über die Zielwiese.

Das waren harte 8:41! Immerhin, obwohl ich mir hier und heute wirklich die volle Packung abgeholt habe, war ich fast genauso schnell wie beim OSO, der von den Bodenverhältnissen her wesentlich leichter war. Ich biete Lars einen Platz unter einem der Tische an, und hohle seinen Futternapf aus dem Auto, während Markus es sich schon mal bequem macht. Während er seine Schuhe fotografiert hohle ich mir auch mein Teller Spaghetti ab, der im Startgeld inklusive ist. Als ich eine Bemerkung darüber zu Markus mache, antwortet ein zufällig in der Nähe sitzender Landmann, er wundere sich, daß bei den Belgischen Preisen für Läufe überhaupt noch jemand in Deutschland starten würde. Just in dem Moment spricht mich ein Mann von hinten an, der ein Foto in seiner Hand hält: es ist der Fotograf des Rennens, und er gibt mir den Ausdruck des Bildes in die Hand. Als ich nach den Kosten frage lacht er.

Fazit: sieben Euro und hundert Km Anfahrt auf der einen Seite. Dafür habe ich heute alles bekommen, was ich mir gewünscht habe: Schlamm, Matsch und Regen bis zum Abwinken; dazu eine wirklich liebevoll gestaltete Strecke, die keine Schikane ausgelassen hat und eigentlich gut markiert ist. Außerdem noch ein Teller leckere Nudeln und ein Bild. Das ist schon wirklich mehr als gut!

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