www.FlorianBechtel.de

Willkommen auf meiner Home-Page

Laufberichte Reiseberichte Impressum Datenschutz
Christian Soerensen, frei zitiert - Der Kopf will Ultra, die Beine aber wollen schneller laufen

Du sieht grade: /REPORTS/2014koenigsforst.htm

2014 - Königsforst-Marathon

Geschrieben März 2014

Kennst Du das Gefühl, wenn es beim Sex auf den Orgasmus zu geht? Der Moment wo Du spürst, dass es jetzt auf die Einbahnstraße geht? Wo auf einmal nichts mehr außerhalb Deines Bettes eine Rolle spielt? Der Augenblick wo das ganze Universum für Dich nur in Deinem Körper liegt?

Diese Gefühle habe ich nicht nur für ein paar Augenblicke beim Geschlechtsverkehr: ich habe diesen Zustand, wenn ich zu einem Marathon fahre.

Ich packe meine Sachen, meinen Rucksack. Heute fahre ich zu einem Marathon. Ich bin ganz ruhig, innerlich in mir. Ich parke und gehe zum Start. Und da ist es, dieses Gefühl der Einbahnstraße vor dem Orgasmus. Gleich werde ich starten. Gleich werde ich laufen. Es gibt nur noch das hier und jetzt. Es gibt nur noch meinen Atem und den Weg. Nichts anderes spielt eine Rolle, nur mein Atem und der Weg. Ich bin so sehr bei mir, dass ich mich selber vergesse. Ich bin so lebendig, dass ich vergesse, dass ich lebe. Ich bin so sehr hier, dass ich ganz weit weg bin. Ich bin glücklich. Das ist wie ein ewiger Höhepunkt für mich.

Heute ist Königsforst-Marathon, mein vierter. Ich melde nach und treffe am Start noch einen Bekannten. Wir reden ein bisschen und er erzählt mir, wie schlecht trainiert er ist. Er ist deshalb für nur den Halbmarathon gemeldet, will also nur eine von zwei Runden laufen. Trotzdem zieht er ab Start mächtig an, 5:30er Schnitt. Das ist eigentlich viel schneller, als ich laufen will. Auf der anderen Seite habe ich ihn in den vergangenen Jahren nie vorbei gelassen und ihm immer meine Hacken gezeigt: das werden wir doch heuer nicht ändern müssen?

Als ich bei Km fünf kurz austrete, ist er schon fast außer Sicht. Denkste, ich gebe Druck auf die Sohlen und arbeite mich langsam wieder ran. Wir laufen jetzt im 5er-Schnitt, er 50m vor mir, ohne sich um zu drehen. An den Verpflegungsstellen nimmt mein Holger Meier immer einen Schluck zu trinken, womit ich jedes mal 10m näher komme. Bei km 18 ist es dann so weit: ich ziehe freundlich grüßend vorbei und gebe Gas. Jetzt den Gegner durch Tempo mürbe machen. Ich kann so gemein sein. Wo ist nur meine buddhistische Ruhe vom Start geblieben?

Jetzt nicht nach lassen, hart bleiben, schneller werden und ZACK, die erste Runde ist vorbei. So, Zeit einmal kurz das Hirn zu verwenden. Ich habe seit Jahren kein vernünftiges Marathon-Training mehr gemacht. Immer nur die Kurzen. Intervalle auf der 400m Bahn sind seit drei Monaten mein einziges Training, schließlich will ich dieses Jahr endlich die 5km unter 20min schaffen. An Silvester war da der Eulenkopf, den ich grade so in fünf Stunden bewältigt habe. Und jetzt habe ich meinen Ex-Kollegen, der so wie so nur den Halbmarathon läuft, grade mit 1:48 ab gehängt. In dem Augenblick wird mir so was von klar, dass die zweite Runde so was von böse wird. Au weiha.

Aber noch "läuft" es. Ich denke mir, dass ich die Qualen so spät wie möglich haben will und mache erst mal im bisherigen Tempo weiter. Allerdings lasse ich mir auf dieser Runde an den Verpflegungsstellen die Zeit, endlich zu trinken und sogar einen Happen zu essen. Ich bin schon ziemlich trocken und hungrig.

Bis km 34, genau bis dahin, hält die Kraft. Dann ist auf einmal der Strom alle. Licht aus. Ich bleibe völlig überraschend stehen, taumele, kann mich kauf auf den Beinen halten und habe schwarze Flecken vor den Augen. Ups. Langsam gehe ich weiter, bis irgendwann das nächste Revitalment kommt.

Bis eben war ich noch auf Kurs klar unter vier Stunden, (meine Mara-PB in meinen besten Zeiten 2008 war 3:38), aber das ist jetzt vorbei. Ist eh Wahnsinn gewesen das ganz ohne vernünftiges Training wiederholen zu wollen. Ich trinke und trinke und trinke. Sicher vier oder fünf Becher Iso-Zeug und genau so viele Riegel konsumiere ich, bevor ich wieder aufstehen kann. Dann gehe ich langsam auf die verbleibenden sieben Kilometer. Ich war fast eine Viertel-Stunde am VP.

Oh diese Qualen. Ich Rülpse, ich leide, ich keuche, ich stöhne. Aber ich laufe tatsächlich wieder. Denn es sind doch noch unter vier Stunden möglich. Arrrgh. Ehrgeiz kann so weh tun. Welcher Spinner hat vorhin Sex mit Laufen verglichen? Völlig absurder Unsinn. Weiter, einfach weiter. Noch drei Kilometer, die ewig sind. Noch zwei Kilometer die nie zu ende gehen. Immer noch eine Kurve, noch eine Biegung. Ich werde jetzt immer wieder überholt, kann nicht mehr gegen halten, will nur noch durchhalten.

Dann laufe ich unter der Autobahn durch und auf die Zielgrade. Oben kann ich den großen blauen Zielbogen schon sehen, aber die Uhr daneben ist verborgen. 3:xx oder 4:xx? Schneller. Ich habe riesen Angst, dass ich jetzt auf den letzten 100m durch schwächliche Trödelei unter die magische Grenze falle. Dann sehe ich die Uhr und sie zeigt 3:56:xx! Ich liebe diese Uhr, ich könnte sie knutschen!

Das war mein zweit-schnellster Marathon meines Lebens. Tempo-Training macht wirklich schnell, wer hätte gedacht das Peter so recht hat!





zurück zur Startseite