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Tom Wolter-Roessler - Laufen um des Laufens willen

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2018 - Als Delegierter zur Irischen Quäker Jahresversammlung nach Limerick

Geschrieben Juli 2018

Prolog

Eine Einladung. Eigentlich war Maurice de Coulon zur Irischen Jahresversammlung delegiert, musste aber leider absagen und vertreten werden. Ich habe angeboten, den Job zu übernehmen. Ich habe lange überlegt, wie ich am besten nach Limerick in Irland komme und dann schliesslich entschieden mit Aerlingus bis Cork zu fliegen und von dort aus mit einem Mietwagen weiter zu machen. Es geht wohl auch mit Bus oder Bahn von Cork nach Limerick, aber ich habe von Köln aus nichts dazu buchen können und mir nicht zu getraut, das vor Ort raus zu finden, wenn ich Abends am Flughafen ankomme.

Meine Tochter Hanna (13) war durch die erneute Teilnahme an der Osterfreizeit in Benkendorf so richtig an-ge-quäkert und wollte unbedingt mit. Außerdem wohnte die Tochter Englischer Quäker für einige Monate bei uns, so dass wir so richtig im Quäker-Fieber waren. Und damit zur Irischen Jahres-Versammlung in die Stadt mit dem irischsten Namen: da simma dabei!

Ich war in der Vorbereitung sehr unsicher. Es wird mein erstes mal als Delegierter. Was soll ich machen? Was wird von mir erwartet? Mein Kontakt für diese Irische Jahresversammlung war Loretta O'Brian und ich habe ihr offen geschrieben, dass ich hoffe alles richtig zu machen. Und sie schrieb zurück, dass ich nichts falsch machen kann, denn es gibt keinen perfekt richtigen Weg. Das hat mir sehr geholfen.

Anreise, Mittwoch 18. Juli 2018

Wir sind dann mit der S-Bahn von Köln nach Düsseldorf gefahren (die Parkhäuser am Flughafen Düsseldorf kosten ein Vermögen!) und haben uns schlau gemacht, wie es von hier aus weiter geht. Ich bin seit Jahren nicht mehr geflogen und für Hanna wird es das erste mal. Wo ist der Aerlingus-Schalter? Wo gibt's was zu Essen? Wie geht das mit den Sicherheits-Schleusen? Stress. Gate wurde geändert. Schnell! Aufruf, Boarding, Ab dafür.

Wir haben es bis in unseren Flieger geschafft und unsere Plätze eingenommen. Hanna ist, obwohl sie das erste mal fliegt, total entspannt. Ich bin etwas nervöser: ich hasse Starts und Landungen (und Turbulenzen und Fliegen). Aber wir heben ab und fliegen! Wow. Es ist jedes mal wieder erstaunlich, dass so riesige Dinger überhaupt fliegen können.

Der Kaffee ist scheußlich, aber sonst ist der Flug gut und bald geht es runter. Cork liegt am Meer und das Flugzeug nähert sich von der Küste her, so dass wir schon so tief sind, dass wir einzelne Wellen erkennen können, ohne Land zu sehen. Dann plötzlich ein paar Baumwipfel direkt unter uns und schon sind auf auf der Landebahn. Bremsen. Der Moment der Anspannung für mich, dann sind wir da.

Der Flughafen Cork ist wesentlich kleiner als Düsseldorf, so dass die Mietwagen-Firmen hier leicht zu finden sind. Schlüssel gegen Unterschrift und ab mit uns zum Auto. Ich wusste, dass man hier links fährt. Ich hab's es mir zu getraut. Und tatsächlich: es ist sehr schwer für mich, aber nicht unmöglich. Laaangsam! Gaaanz vorsichtig.

Hanna und ich essen unterwegs und kommen dann endlich, kurz nach 23:00 am Konferenz-Zentrum des Limerick Institute for Technology (LIT) an. Kein Quäker mehr da. Alle weg. Unsere Unterkunft sollte ein Apartment-Dorf nicht weit weg sein (Cratloe Wood Village), also fahren wir da hin. Notfalls können wir auch im Auto schlafen und morgen früh weiter sehen, obwohl das echt erst Plan C wäre.

Am Tor zum Appartment-Dorf ist die Schranke unten, und der Wachhabende kommt raus. Den Namen "Bechtel" hat er noch nie gehört. "Quakers" sagt ihm auch nichts. Aber "Loretta O'Brian" ist hier ein Name, der offensichtlich viele Türen sehr schnell öffnet! Der Wachhabende zückt sein Handy und ruft sie an und bringt uns dann persönlich zu einem freien Haus. Wir legen uns in die gemachten Betten und freuen uns auf Morgen.


Anreise - Unterkunft - Frühstück im Auto

Donnerstag, 19. Juli 2018

Der Donnerstag beginnt mit STRESS! Ich wache durch den Zeitversatz gegen 05:00 auf und will erst mal die Gegend erkunden. Da der Wachhabende uns gestern Abend nur rein gelassen, aber keinen Schlüssel da gelassen hat, überlege ich, wie ich gleich wieder in's Haus komme. Die Tür ist glücklicherweise nur einfachster Bauart, so dass ich sie problemlos mit meiner Krankenkassenkarte öffnen kann. Ich schaue mich also um, habe Hunger. Der Laden vor dem Tor ist noch geschlossen: laut Schild öffnen sie erst gegen 09:00, wenn wir schon im LIT sein wollen. Ich gehe also zurück und treffe Hanna, die auch schon wach ist. Wir haben beide Hunger und beschließen, einen Laden zu suchen. Jetzt hat der Laden vor dem Tor allerdings doch schon auf, wir decken uns mit Frühstücks-Sachen ein und gehen zurück zum Haus.
Dummerweise erweist sich die Tür als absolut einbruchsicher und obwohl ich sie vorhin in Sekunden mit dem ersten Versuch auf bekommen habe, ist jetzt auch nach 30 Minuten nichts zu machen. MIST!

Wir frühstücken also im Auto. Ich sehe es vor mir: alle Anwesenden der Jahresversammlung in gepflegter Garderobe und ich im T-Shirt, unrasiert, zerknautscht und voll gekrümelt. Ich schäme mich. So will ich auf keinen Fall dort auftauchen. Ich bin doch Delegierter, muss anständig aussehen, darf nicht zu spät kommen, guten Eindruck machen. Wie konnte sich ein Schussel wie ich, für so eine Aufgabe melden! Wäre doch Maurice gefahren, der hätte das sicher viel besser gekonnt! Dann kommt jemand zur Dorf-Verwaltung und wir bekommen unseren Schlüssel. Der Name Loretta O'Brian ist der Schlüssel zum Schlüssel. Jetzt also schnell zurecht machen und ab zum LIT und treffen hier die Quäker.


Konferenzort - Essenmarken - Hanna zieht mit Freundinnen ab

Mir fällt ganz besonders auf, dass sich die Irischen Quäker, im Gegensatz zu den Deutschen, fast NIE umarmen! Ich selber bin auch ehr so distanzierter und immer unsicher, ob mein Gegenüber eine Umarmung, einen Händedruck oder ein freundliches Nicken von mir erwartet. Das ist hier viel einfacher: lächeln und mit Worten begrüssen reicht immer!

Ich gebe Hanna bei Caroline, der Jungfreude-Koordinatorin, ab und gehe zum ersten Programmpunkt. Hanna ist etwas schüchtern, alles ist unvertraut und sie ist nicht ganz sicher, ob sie das auch so will. Aber sie entscheidet sich (ob Herz oder Kopf weiss ich nicht), bei Caroline zu bleiben. Ich gehe mit schlechtem Gewissen. Meine Pflicht ruft. Ich komme pünktlich zur Session 2 (die erste wäre gestern Nachmittag gewesen).

Es sind etwa 150 Personen im Konferenz-Saal (im Laufe der JV werden es noch mehr werden). Die Altersstruktur ist ähnlich wie bei uns, der Humor auch. Männer und Frauen sind gleichmässig anwesend und die Kleidung ist so, wie ich es aus Deutschland kenne. Der Ablauf ist sehr strukturiert und zügig, zwischen den Beiträgen wird nur ca. 20 Sekunden geschwiegen. Ich werde vorgestellt und die Traveling-Minute wird verlesen. Plötzlich drückt mir jemand ein Micro in die Hand und ich stammele ein paar Worte Dank für die Einladung.

In dieser Session 2 geht es um den Bericht des Schatzmeisters. Mir fliegen Abkürzungen um die Ohren, ich kann kaum folgen. Viel juristisches, Versicherunges-Zeug. Ich höre begriffe wie "Charity-Nr.", "Tax", "Funds (restricted/unrestickted)", "compliance", "audit" und "vat". Ausserdem gibt es Stress wegen der Registrierung bei einer "Clearance registration authority", von der das "Charity Certificate" für die Steuer benötigt wird. Anscheinend so was wie das Ringen um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit bei uns. Vielleicht habe ich das aber auch ganz falsch verstanden.

Der nächste Punkt ist "GDPR - General Data Protection Regulations". Bei uns trägt dieser Mühltein um den Hals den Namen "DSGVO - DatenSchutzGrundVerordnung". Soll ich davon berichten? Nein, die Iren haben einfach die selben Probleme wie alle, außer den Groß-Konzernen.

Nach einer Teepause (Kaffee) hören wir in Session 3 einen Bericht von David Morten über die Arbeit der Quäker-Hilfe, die hier Quaker-Service heisst. Er berichtet schwerpunktmässig von einem Projekt in Belfast für Kinder und Jugendliche. Ich habe etwas Schwierigkeiten seinen Irischen Dialekt zu verstehen. "A Se-Aff Ple-As" ist ein "Safe Place". Aha.
Ach ja: es gibt hier "Engish" und "Irisch", wobei "Irish" das Keltische, bzw. Gälische ist. Alle Schilder sind zwei-sprachig: im Verkehr, am Flughafen, Straßen, Namen: alles. Und noch einer: die Iren rechnen in Metern und messen in Grad Celsius. Wusste ich vorher nicht.


Das LIT - Konferenzsaal - Anna und Loretta

Nach dem Lunch nehme ich an einem "Meeting for Worship for Healing" teil. So etwas kannte ich von von Deutschen Quäkern auch nicht. Wir sitzen im üblichen Andachts-Kreis und nach kurzem Schweigen sprechen Anwesende Bitten um Heilung für Abwesende Freunde oder Verwandte aus. Adressat dieser Bitten ist, soweit ich das verstanden habe, der Biblische Gott. Wir anderen Anwesenden sind gehalten, die Bitte um Heilung durch unsere hingebende Aufmerksamkeit und unsere Verbindung zum Göttlichen in uns zu unterstützen.

Obgleich sich hier in Irland sicher die meisten Quäker als Bibel-Treu verstehen, wird auf der ganzen JV nur selten aus der Bibel zitiert und niemals damit argumentiert. Viel viel häufiger höre ich hier Zitate von Georg Fox, den alle wesentlich gründlicher studiert zu haben scheinen als ich.

Die "Special Interest Groups" am Nachmittag verpasse ich, weil ich Loretta endlich selber kennen lerne und sie und die anderen vom Orga-Komitee mich mit Beschlag belegen. In Session 4 referiert, nach einer halbstündigen schweigenden Andacht, zunächst Natasha Harty über das Quäker-Zeugnis (Testimony) der Integrität. Es ist auch im Englischen so, dass es sehr viele Worte zu diesem Zeugnis gibt (Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Treue, etc. etc.) die doch alle die gleiche innere Haltung ausdrücken. Schön.
Danach kommt ein Beitrag zum Thema Glücksspiel und die Haltung der Quäker dazu. Ich wusste bisher nicht, dass Quäker eine Haltung dazu haben, aber mir wird hier durch die Worte von Jonathan Wigham klar, dass jeder Gewinn im Spiel ein Verlust der Mitspieler ist. Können wir uns darüber freuen, wenn unsere Mitspieler verlieren? Jonathan vertritt die überzeugung, dass das gegen unsere Werte verstößt und nur ehrliche Arbeit wirklich dem Zeugnis der Integrität entspricht.

Letzter Beitrag in dieser Session ist der Bericht von Andew Lane, den ich schon persönlich in Pyrmont getroffen habe, über die Arbeit von OCEA in Brüssel.

Nach dem Abendessen gibt es einen Beitrag zu der Frage: "Was kann ich als Quäker im 21ten Jahrhundert sagen?" Der Vortrag ist sehr lang, sollte um 21:15 enden und wird um 21:45 recht rabiat vom Schreiber-Komitee abgewürgt: bei Folie 44 von über 60. Die Jugendlichen und Jungfreunde hatten als letzte Andacht des Tages eine "Candelit Worship" vorbereitet, was wir durch das überlange Referat nun leider verpasst haben. Das war ein bisschen schade, denn die Jungsters hatten sich viel Mühe gegeben. Ich erfahre allerdings, dass viele Quäker den langatmigen Vortrag pünktlich verlassen haben und beim Candelit Worship waren.
Überhaupt: Pünktlichkeit! Hier in Irland fangen sie eigentlich NIE pünktlich an, aber sie hören fast immer exakt auf den Punkt auf. Bei uns in Deutschland ist es genau anders herum.

Nach dem Candelit Worship hoffe ich meine Tochter Hanna endlich wieder zu sehen. Ich habe sie den ganzen Tag alleine in der Fremde gelassen ganz ohne ihren fürsorglichen Papa. Sie kommt überglücklich strahlend in der Mitte von vielen Gleichaltrigen auf mich zu und geht, nach kurzen Blickkontakt und Nicken, auch mit denen zu den Unterkünften zurück. Sie hatte einen tollen Tag!

Freitag, 20. Juli 2018

Jeden Morgen gibt es von 09:00 bis 10:00 die Auswahl zwischen einer Bibel-Studie oder einem "Worship Sharing". Da ich nicht weiss, was ein "Worship Sharing" ist, probiere ich es aus. Es ist eine Andacht, in der es nicht speziell nötig ist, jetzt grade das ganze Licht des Göttlichen in sich zu spüren, um etwas zu sagen. Alle sind hier eingeladen, etwas in die Runde zu teilen. Nichts darf den Raum verlassen, es ist absolute Vertraulichkeit vereinbart und nichts wird kommentiert, gewertet oder beantwortet. Wer etwas auf dem Herzen hat, kann das einfach sagen. Zwischen den Beiträgen sind immer ein paar Minuten quäkerisches Schweigen. Mir gefällt "Worship Sharing".
Manchmal in Andachten bewegen mit tiefe Gedanken oder Einsichten, aber sind die jetzt wirklich Ausdruck des Göttlichen? Soll ich es sagen? Bin ich bewegt, es zu sagen? Ist das auch gut genug? Besser schweigen. Kennst Du das? Falls ja: "Worship Sharing" ist toll"!

Danach geht es in die Session 5, die wie gestern mit 30 Minuten schweigender Andacht beginnt. Obwohl ich aus dem Programm etwas anderes erwartet habe, wird über gleichgeschlechtliche Ehe gesprochen. Ich erfahre, dass es wohl schon das ganze Jahr über immer wieder und wieder über dieses Thema ging, dass das DAS Thema derzeit bei den Irischen Freunden ist.

Dazu muss man wissen, dass rechtsverbindliche Eheschliessungen in Irland auch von bestimmten Religions-Gesellschaften geschlossen werden können. Zukünftige Eheleute haben zwar auch in Irland die Möglichkeit, ihren Bund in einem, unserem Standesamt ähnlichen Prozess, konfessionslos zu schließen. Sie können aber STATT DESSEN auch in ihrer Religionsgemeinschaft heiraten. Die juristischen Rechte und Pflichten der Standesbeamten nehmen dann Geistliche oder eben von den Quäkern dazu berufene wahr. Von jeder Religionsgemeinschaft, die solche Aufgaben erfüllen möchte, wird ein kodifizierter und veröffentlichter Ablauf zu diesen Eheschließungen erwartet.

Die Irische Jahresversammlung hatte im Laufe des Jahre ein Komitee ernannt, dass eine solche Formulierung vorschlagen sollte. Dazu gab es mehrere Treffen. Jetzt hier in Limerick wurde eben dieser Formulierungs-Entwurf vorgetragen. Ich fasse zusammen: "Schreiber, die eine Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen Partnern in ihrem Bezirk besiegeln möchten, können das machen. Und wer das nicht will muss es nicht." Hört sich für mich total fair an, ist aber ein riesen Problem in Irland. Viele stehen auf, möchten etwas sagen. Manche erklären verzweifelt unter Tränen, dass sie nicht Teil einer Gemeinschaft bleiben können, die solche Sünden billigt! Andere sagen mit der gleichen Erschütterung, dass sie nicht Quäker bleiben können, wenn wir die Liebe verbieten. Starker Tobak, das alles. Die Entscheidung, ob die Erklärung so angenommen wird, wird verschoben.

Vor dem Tee ist noch Platz für einen Bericht über Proteste am Shannon Airport in Limerick gegen militärische Transporte. Irland ist nicht Teil der Nato, aber zunehmend engagiert in kriegerischen Aktionen, was sehr kritisch gesehen wird.

Am Freitag Nachmittag gibt es verschiedene organisierte Ausflüge mit Bussen, an denen wir aber nicht teilnehmen. Statt dessen fahre ich mit Hanna über das Land zu den Klippen im Westen. Irland pur! Wow. Wir halten eine zwei-personen mini Andacht auf dem Cliff und legen aus Steinen ein Zeichen in die Einsamkeit. Danach will Hanna zurück zu ihren neuen Freundinnen und Freunden und ich nutze die einmalige Gelegenheit zum ersten mal in einen echten irischen "Irish Pub" zu gehen. Live Musik, Stepptanz alles dabei. Zu meiner unübertrefflichen ganz persönlichen Erheiterung heisst der coolste Pub in Town: "The Locke".


Irland mit Küste und Kneipe

Samstag, 21. Juli 2018

Da ich gestern an dem sehr interessanten Worship Sharing teilgenommen habe, gehe ich heute morgen in die Bibel Study. Das Thema ist "What is worship" und es wird aus verschiedenen Bibel-Textstellen dazu vorgelesen. Einige andere Quäker haben selber Bibeln dabei: manche klassische gebundene Bücher, andere moderne E-Book-Reader.

Um 10:00 geht es dann in Session 6, die wie jeden Tag mit 30 Minuten schweigender Andacht beginnt. Danach werden die Travel-Minutes der Delegierten von Newzeeland, Oregon und Belgien vorgelesen. Es folgt der Bericht der Irischen Jungfreunde, ihre Treffen, ihre Fahrten, ihre Gruppen. Ich sehe die versammelten Jungsters jetzt zum ersten mal hier im grossen Konferenzsaal und freue mich, Hanna mitten unter ihnen zu sehen, als wäre sie schon immer dabei. Und mir wird klar, dass auch ich hier ein glücklicher, selbstverständlicher Teil der Gemeinschaft bin. Quäkertum ist wunderbar!

Nach dem Tee geht es um 12:00 dann in Session 7 richtig zur Sache. Zu DER Sache: Gleichgeschlechtliche Ehe. Tränen fliessen, unglaubliche Emotionen zittern durch den Raum. Einer der Jungfreunde erklärt sehr persönlich betroffen, wie er unser Zeugnis der Gleichwertigkeit aus Sicht seiner eigenen Homosexualität sieht.

Nach langem Zögern erhebe ich mich und bin mir in diesem Moment sehr bewusst, dass ich jetzt als Fremdling in dieser Runde wahr genommen werde, der sich in eine Familienangelegenheit einmischt. Aber ich fühle, dass meine Aufgaben und Pflichten als Delegate nicht nur bedeuten, zu lernen und zu berichten. Es gehört wohl auch zu meinen Aufgaben, zu teilen, was wir in Deutschland haben. Ich bekomme das Micro und entschuldige mich für die Unterbrechung und meine Einmischung. Und ich sage offen, wie überrascht ich über die Debatte über Gleichgeschlechtliche Ehe bin. Ich berichte, dass ich noch niemals gehört hätte, dass diese Frage Deutsche Quäker irgendwie nennenswert beschäftigt hätte. Motto dieser Irischen Jahresversammlung ist: "Einigkeit in Wichtigem, Freiheit in Unwichtigem, Fürsorglichkeit (Charity) in allem". Bei Deutschen Quäkern fällt die Frage der Gleichgeschlechtlichen Ehe schlicht unter "Unwichtiges".
Ich setze mich, knallrot im Gesicht. Einer ganzen Jahresversammlung, deren Gast ich bin, zu sagen, dass ich das Thema ihrer hitzigsten Debatte für unwichtig halte, ist mir schwer gefallen. Ich senke meine glühende Birne tief in die Sitzreihen. Ich weiss, es war richtig es zu sagen. Und ich weiss, dass es mein Job war es zu sagen, weil ich der einzige Deutsche Quäker hier bin. Ich spüre, dass ich vielleicht genau für diesen einen Beitrag an diesen Ort geführt wurde. Aber es war nicht einfach.

Der nächste Beitrag zu dieser Thema: Die Iren würden den Sex einfach viel wichtiger nehmen als die Deutschen. Weil es aber hier nur um Eheschliessung geht und nicht um Sexualität, wird empfohlen den Formulierungsvorschlag an zu nehmen. Das bricht den Bann, der Saal lacht schallend.
Als die Schreiberin den, inzwischen sehr langen, Formulierungsvorschlag erneut vorgelesen hat, bleibt ein zustimmendes Schweigen. Alle blicken sich erstaunt im Saal um: steht niemand mehr auf? Keine, wirklich KEINE Einwände mehr? Die JV, eben noch in Kummer über den Kummer bedrückt und traurig, erhebt sich! Konsens, wirklicher, echter Konsens. Plötzlich wird ein Lied gesungen und die Freude über die gelungene Einigung ist überwältigend. Quäkertum ist wunderbar!

Freunde, ihr könnt Euch nicht vorstellen, was für ein wunderbares Gefühl es war, als die ganze Jahresversammlung plötzlich in Einigkeit vereint war. Dieses Glück, diese Liebe. überwältigend.

Mittagspause. Ich treffe beim Essen die Tochter von Aubrey Harding, die 1939 zusammen mit Nora und John Douglas im Quäkerhaus in Bad Pyrmont war und davon berichtet hat. Ich werde im Laufe dieser JV mehrfach auf unser Quäker-Haus angesprochen. Unsere Probleme sind hier wohl bekannt. Verschiedenen Gruppen haben verschiedene Wege gefunden oder zumindest versucht. Meist wird gefragt, ob wir das Haus an andere Gruppen vermieten und damit Einnahmen generieren. Die Idee, ein Konferenz-Zentrum zu bauen findet Beachtung, aber niemand hät es spontan für der Weisheit letzten Schluss. Auch in Irland verlassen die Menschen das Land und ziehen in die Städte.

Danach nehme ich an einer Themen-Gruppen Teil. Der Titel: "Giving voice to humanity" spricht mich an. Es wird über die perfekte Weltordnung doziert. Das Thema ist sicher sehr wichtig, eine perfekte Weltordnung wäre wunderbar, mir ist das Thema aber zu weit weg. Ich höre schweigend zu.

Nach dem Tee erzählt Adele Trepnell in Session 8 von ihrem "Working Retreat" auf einer Palestinensischen Olivenfarm. Ich bin interessiert, das würde ich auch gerne mal machen.
Danach erzählt Marisa Johnson aus der 80-Jährigen Geschichte des FWCC. Noch spannender finde ich den Bericht von Simon Lamb über die Arbeit des FWCC in Afrika. Er ist ein grossartiger Erzähler, er bringt es rüber! Er informiert uns, dass es in Afrika gut 180.000 Quäker gibt. Und er hat Bilder von "Andachten" mit vielen tausend Quäkern, die jeden Sonntag zusammen kommen, von Chören und Krankenhäusern. Aber er gibt auch Einblick in die Versöhnungsarbeit, die Quäker zwischen den verfeindeten Volksgruppen in Ruanda und Burundi leisten, die schrechlichste Verbrechen und Vökermord begangen haben. Ich bin beeindruckt.

Nach dem Abendessen gibt es in der Sporthalle Irish Folk Music mit Tanz für alle. Das mach Spass! Ich bin meiner Tochter peinlich, weil ich total uncool begeistert mit mache.

Zu guter Letzt ist dann wieder Candelit Worship von den Jungfreunden vorbereitet. Hanna ist sehr traurig, dass die Jahresversammlung für uns damit zu ende ist. Morgen geht unser Flieger zurück nach Deutschland und ich muss auch noch von Limerick bis Cork fahren und das Auto abgeben. Kaum sind wir in unserer Unterkunft, klopft es an die Tür: die Jungfreunde sind Apartment-Dorf und bleiben noch zusammen. Sie laden Hanna ein, dabei zu sein. Sie ist klein (13), morgen wird ein langer, harter Tag, wir müssen früh aufstehen. Und wir sind hier in der Fremde. Da kann ich meine Tochter doch nicht Nachts alleine raus lassen! Aber es sind Quäker-Jungfreunde und Hanna ist NICHT alleine sondern in guter, vertrauenswürdiger Gesellschaft. Mir ist klar, dass ich kein Auge zu kriege, bis sie heile wieder da ist, aber ich sage ja. Glück in ihren Augen und weg ist sie. Und irgendwann ist ist sie glücklich wieder da. Mit vielen neuen Namen, Adressen und Einladungen. Sie wird wiederkommen, sagt sie.


Jungfreunde - Bunter Abend - Live-Kapelle

Sonntag, 22. Juli 2018

Der Rückweg ist erfreulich unspektakulär. Eine problemlose Autofahrt, weil ich mich inzwischen an den Linksverkehr gewöhnt habe. Geschmeidiges Einchecken. Ruhiges Fliegen (Hanna schläft). Und am Flughafen Düsseldorf holt uns mein Schatz ab. Wir sind wieder zu hause.

Epilog:

Ich möchte hier gelegentlich ein "Worship Sharing" machen. Und ich möchte einmal ein "Work Retreat" zu Quäkers machen, gerne nach Afrika. Und, sagte ich es schon: Quäkertum ist wunderbar!