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George Fox - Eure Rede sei ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom übel

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2018 - Suanne Alexi bei der TorTourdeRuhr supportet

Geschrieben Mai 2018

Ich muss arbeiten. Heute ist ein wichtiger Tag, ganz viel hängt von mir ab. Meine Kollegen verlassen sich auf mich! Deshalb kann ich nicht mit Susanne und Elias schon Mittags von Köln nach Winterberg fahren. Und letzte Nacht war meinem Sohn so übel, dass er gekotzt hat: ich lasse ihn ungern alleine zu hause, wenn ich nach Winterberg zur TorTourdeRuhr fahre. Und meine Tochter, sie will Samstag morgen auf eine Jugend-Fahrt mit dem Alpenverein; die treffen sich um 11:00 an einem Bus. Alle Eltern bringen ihre Kinder da hin, um sie zu verabschieden. Ich bin ein Raben-Vater, der seine Kinder im Stich lässt, um meinem Hobby nach zu gehen. Aber ich hab's Susanne versprochen, ich kann sie doch nicht sitzen lassen. Ich will für meine Kinder, meine Kollegen, meine Firma und Susanne da sein. Und für meinen Schatz habe ich dieses Wochenende wohl auch kein Zeit. Also arbeite ich so lange wie nötig, verabschiede mich dann von meinen Kindern, in der Hoffnung, dass sie alleine klar kommen, und setze mich in den Zug nach Winterberg, wo Elias mich am Bahnhof abholt. Ich habe ein schlechtes Gewissen, allen gegenüber.

Zimmer beziehen, ankommen. Ich bin noch nicht hier, nicht teil des Teams. Ich telefoniere mit meinem Schatz, meinem Sohn, meiner Tochter. Ich begrüße Bekannte und trinke an der Bar noch ein Alkoholfreies. Die Jugendherberge Winterberg ist der Hit, wirklich toll hier.

Wecker klingelt früh, nach einer sehr schlechten Nacht. Anziehen, Frühstücken und zum Start fahren. So langsam komme ich hier an, komme ich in meinem Team an, bei Susanne, in meiner Rolle als Supporter. Das ist mir früher (2010 und 2012) leichter gefallen. Da hatte ich weniger Pakete mit mir zu schleppen. Jetzt kriege ich auch mein Rad. Meine Rolle für diese TorTourdeRuhr ist es, auf dem Rad neben Susanne her zu fahren und sie zu unterstützen. Vielleicht bin ich bisher nicht wirklich angekommen, weil ich erst jetzt das Rad bekomme. Es ist Susannes Fahrrad, denn mein eigenes hat keine Federung und eine viel zu sportliche Sitzposition für so was. Elias und ich stellen den Sattel auf meine Höhe und schieben zum Start.

Start der TorTourdeRuhr 2018 Susanne und Florian unterwegs Einer von Elias Verpflegungspunkten

So viele bekannte Gesichter! Ich mache Fotos und beginne mich in meine Rolle ein zu arbeiten. Dann geht es endlich los! Endlich. Susanne trabt wie erwartet dem Feld hinterher und ich setze mich auf's Rad. Zack, die Welt hat sich verändert. Ich bin "drin". Es gibt jetzt nur noch den Lauf, Susanne, die Mission, die TorTour. Ich fühle mich blendend. Das Wetter ist super, die Stimmung ist super und alles läuft.

Elias ist mit dem Wohnmobil immer wieder an der Strecke und erfüllt jeden Wunsch. Das sind noch nicht viele, aber es ist gut, dass er da ist. Tolles Gefühl. Wir sind ein Team, eine Mannschaft. Aber noch gibt es eine Welt außerhalb des Ruhrtals. Meine Tochter, die heute zu ihrer Jugend-Freizeit will, versucht mit der S-Bahn zum Treffpunkt zu kommen. Aber die S-Bahn kommt und kommt nicht. Sie ruft mich an, Verzweiflung und Tränen in der Stimme. Ich bin 1000 Meilen entfernt und kann ihr nicht helfen. Ich versuche einen Plan-B auf zu stellen, irgendwas mit Taxi und so, als sie sagt, da käme ein Zug und auflegt. Ich sitze auf dem Rad und bin weit weg und kann nicht helfen. Ich bin ein Raben-Vater. Eine halbe Stunde später halte ich das Schweigen des Telefons nicht mehr aus und rufe meine Kleine an. Statt völlig aufgelöst wie eben geht sie mit gaaaanz cooler Stimmer dran: "Jaaa, Papa?" Sofort weiß ich, dass sie gerade neben ihren Freundinnen und Freunden steht, der Bus da ist und sie total mit sich und der Welt zufrieden ist. Sie braucht mich jetzt nicht mehr, dieses Wochenende jedenfalls nicht. Und mein Sohn ist auch schon ein junger Mann, volljährig und selbständig: der kommt auch ohne mich klar. Ich bin beruhigt. Arbeit, Kinder: alles gut. Jetzt endlich kann ich auch den letzten Faden zum Alltag loslassen und mich ganz in die TorTour ergeben.

Die Stunden vergehen, die Dörfer und Städte ziehen vorbei. Alles läuft, alles ist leicht. Bei Km 30 (von 230) wechseln Elias und ich den Sattel des Rades aus. Mein Allerwertester soll nicht so leiden. Ok, ich fahre einfach in Jeans, statt wie alle anderen in Radlerhosen, aber was soll's. Mit dem anderen Sattel ist alles gut. Susanne ist dieses Jahr viel besser trainiert als 2010 oder 2012. Sie wünscht sich dieses Jahr nicht gegen das Zeitlimit kämpfen zu müssen sondern ganz entspannt laufen zu können. Der Plan klappt nicht: alle offiziellen VPs sind schon längst abgebaut, bis wir da hin kommen. Susanne ist aber nicht gestresst, sie weiß genau, dass sie nach hinten raus immer weiter kann und nicht noch langsamer wird. Sie telefoniert, schreibt Facebook und Whatsapp und macht selber genau so viel Fotos wie ich. Ich dagegen sehe jetzt die Strecke zum ersten mal richtig. 2010 und 2012 war ich ja nur mit dem Auto an den Treffpunkten. Und 2016, als ich das Ding gelaufen bin, war ich total auf das Finish fokussiert und habe kaum etwas anderes wahr genommen. Außerdem hatte ich ab Km 80 Schmerzen, die immer schlimmer geworden sind und mir jeden Blick für die Landschaft genommen haben. Heute kann ich ganz entspannt vom Rad aus die Gegend anschauen. Super!

Elias ist immer an der Strecke. Und dieses Jahr klappt die Abstimmung auch prima. Jens hat günstige Treffpunkte in einer Liste mit KM-Angaben aufgeschrieben und so können wir uns immer auf den Meter genau verabreden. Zusätzlich teilen wir uns auch noch unsere Standorte via Whatsapp mit: so kann nichts mehr schief gehen. Es gibt noch ein weiteres Mitglied unseres Team, das ich bisher noch gar nicht vorgestellt habe: Peter. Peter wollte unbedingt mit dabei sein und Sonnenschein Susanne hat ihm das natürlich zugesagt. Er ist mit dem eigenen Auto unterwegs und trifft uns ebenfalls ab und zu an der Strecke. Sein großer Moment kommt mit Einbruch der Dunkelheit. Wir haben nämlich beim Umbau des Sattels irgendwie das Rücklicht verloren. Und ohne Rücklicht entlang gut befahrener Straßen durch die Nacht ist schon doof. Peter schafft es, aus einer Stirnlampe, Klebeband und irgendwas Rotem ein ganz passables Rücklicht zu basteln, was wir ab jetzt verwenden.

Die Nacht läuft. Elias macht Kaffee und Susanne kommt irgendwie weiter. Sie wird langsamer, aber sie hört nicht auf. Bis ca. 3 Uhr. Sie hat jetzt Schmerzen und etwas Krampf-Artiges und ist unendlich erschöpft. Sie meint, ihr fehlt Magnesium, was wir ihr im Bus anrühren. Sie sieht jetzt nicht gut aus. Schwach, sehr schwach. Kurz vor dem Umkippen. Irgendwann entscheidet sie sich für weiter. Susanne geht langsam, ganz langsam einen Schritt nach dem anderen aus dem kleinen Dorf in die Nacht. Und kippt um. Nach nicht mal 100m sinkt sie mit Kreislaufschwäche zu Boden. Zwei andere Tortour-Läufer kommen gerade jetzt vorbei und bieten an, einen Krankenwagen zu rufen. Oder Susanne zurück zum Dorf zu bringen, wo noch ein anderes Support-Fahrzeug steht. Ich entscheide mich zu lügen. Ich bin in diesem Moment sicher, wenn Susanne jetzt in dieser Phase der inneren und körperlichen Schwäche den Rückwärtsgang einlegt, bricht sie die Tour ab. Ich behaupte in vollem Bewusstsein der Unwahrheit, dass Elias mit dem Bus gleich hinter der Ecke auf uns warten würde. Und die beiden anderen Läufer akzeptieren das und ziehen weiter. Susanne und ich sind alleine im Wald. Es geht ihr sehr schlecht. Richtig dreckig. Aber ich kenne schweren Unterzucker von einer Diabetikerin und weiß, dass Susanne noch weit davon entfernt ist. Und ich halte sie in den Armen und helfe ihr auf die Beine. Ein Schritt, noch ein Schritt. Wir schaffen gut 100m bevor sie sich wieder auf den Boden gleiten lässt. Nach ein paar Minuten geht es weiter, da schaffen wir schon 150 oder 200m. Und dann kann sie wieder wandern. Noch bevor wir Elias nach ca. 5km tatsächlich erreichen, hat Susanne die beiden anderen Läufer schon wieder locker marschierend eingeholt. Geht doch.

Nebel zieht auf. Susanne marschiert durch die Nacht. Der Nebel ist so dicht, dass man im hellen Strahlen der Lampen kaum 5m weiter schauen kann. Es ist absolut windstill und kein Laut ist zu hören. Ich fühle mich auf dem Rad steif und verspannt und richte mich in den Pedalen auf. Und erlebe ein Wunder. Der Nebel ist nur Bodennebel. Und diese Decke ist nur gut 2m dick. Und als ich mich auf dem Rad aufrichte, stecke ich meinen Kopf oben aus dieser Decke heraus. Ich erblicke ein wunderbare Märchenlandschaft, eine einzigartige Traumwelt. Mein Kopf schwebt einige Zentimeter über dieser weißen, geisterhaften Decke. Unten sehe ich das helle Leuchten der Lampen des Fahrrades und von Susannes Stirnlampe. Und meine eigene Stirnlampe lässt hier oben alles in gleißendem Weiß erstrahlen. Und über mir pech-schwarzer Nachthimmel voller Sterne. Beim Fahren gleitet mein Kopf durch diese unbeschreibliche Wunderwelt aus weiß und schwarz, es ist von überirdischer Schönheit. Niemals hätte ich mir ein solches Bild ausmalen können. Außerirdisch, fantastisch!

Dann graut der Morgen und Elias hat wieder Kaffee bereit. So geil! Weiter, immer weiter. Aus dem ersten Morgengrauen wird ein neuer wunderschöner Tag mit bestem Wetter am Ruhrtal-Radweg. Es wird warm,sehr warm, und endlich tausche ich die Jeans gegen eine kurze Jogging-Hose, denn so langsam wir mir das Radeln lang und das Laufen echt angenehmer. Ich weiß, dass ich gut 100km locker laufen kann und mache das jetzt auch immer öfter. Es sind viele Touristen auf dem Radweg und ich erzähle wann immer ich gefragt werde, was wir hier machen. Yo Girl! Du rockst das Ding, Susanne!

Allerdings rückt der Zielschluss um 22:00 unerbittlich näher. Ich rechne: es ist jetzt 11:00 und Susanne hat noch 66km. Das bedeutet, sie muss im Schnitt 6km/h schaffen, 10min/km, in jeder Minute mindestens 100m. Ich erkläre ihr das und mache Druck. Und Susanne hält mit. Und sie hält das Tempo perfekt. Nach jedem Km sage ich ihr, dass sie jetzt 10Sekunden oder sogar eine ganze Minute vor dem Zeitlimit ist. Manchmal sage ich ihr auch, dass sie bei Plus-Minus Null ist. Aber sie hält den Schnitt eisern.

Am Nachmittag kommt Susannes Partner Volker auf dem Rad zu uns. Volker hat die Strecke auch auf seinem Handy und er ist ein hervorragender Navigator. Bei mir kommt nämlich langsam auch die Müdigkeit durch. Meine Augen brennen wie Feuer, trotz dunkler Sonnenbrille kann ich kaum noch etwas sehen. Ohne Volker hätte ich mich nicht hingelegt, hätte weiter gemacht. Aber ich bin sehr dankbar, dass ich die Verantwortung für Susanne für ein paar Minuten in seine Hände legen kann. Ich lege mich ins Wohnmobil und bitte Elias mich sieben Minuten schlafen zu lassen. Er gibt mir netterweise sogar acht Minuten, bevor er mich wieder aufweckt. Das erste was ich merke ist, dass ich sogar ohne Sonnenbrille wieder sehen kann. Ich fühle mich klar und erfrischt und ausgeruht. Trotzdem setze ich die Brille wieder auf, denn Sonnenbrand auf der Hornhaut der Augen ist ganz schlecht. Ich radele Susanne und Volker hinterher und es geht weiter.

Susanne schafft ihre Kilometer wie ein Uhrwerk. Muss sie auch, denn der Zeitplan lässt keine Reserven zu:
11:00 - 66km
12:00 - 60km
13:00 - 54km
14:00 - 48km
15:00 - Nur noch Marathon. Ein schöner VP, den wir sogar erreichen bevor er abgebaut wird.
16:00 - 36km
17:00 - 30km
18:00 - 24km. Mintarder Brücke. Mein Lieblings-VP! Hier ist noch Stimmung und alle sind gut drauf. Für mich war das hier 2016 einer der Schlüssel zu meinem Finish: ab hier wusste ich, dass ich es schaffen kann. Immer wieder und wieder sage ich heute zur Susanne: "Noch soundsoviele Km: kein Geschenk aber machbar!"
19:00 - 18km
20:00 - 12km Susanne wird müde und sie hat Schmerzen. Immer öfter erinnere ich sie jetzt an das Zeitlimit. Sie will unbedingt vor 22:00 am Rheinorange ankommen. Wir sammeln jetzt auch nach und nach andere Läufer ein, die auf x-Minuten vor Zielschluss setzen. "Susanne, Du bist 4 Minuten vor dem Cut-Off!"
21:00 - noch sechs Kilometer.

Susanne wechselt noch mal die Schuhe. Sie ist 2010 und 2012 völlig entspannt und schmerzfrei im Ziel angekommen und jetzt tun ihr die Füße weh. Sie findet es völlig unpassend und unharmonisch, dass sie diesmal mit Schmerzen im Ziel ankommen wird. Klar weiß sie, dass ein paar Blasen sie nicht am laufen hindern. Aber es stört sie, weil Laufen für sie nichts mit überwindung zu tun hat. Für mich ist schon ein hartes Training eine Belastung, eine überwindung. Und im Wettkampf WILL ich alles und jeden überwinden, einschließlich mir selbst, meine Grenzen und jeden Schmerz. Das ist für mich Freiheit und Befreiung und Selbstbestätigung. Für Susanne ist das alles Quatsch. Siewill niemanden besiegen. Sie will einfach laufen und Spaß haben! So wie Sozial-Media für die meisten Menschen immer mit einer guten Portion Narzissmus einhergeht, Susanne aber online ist, um zu sehen, wie es ihren Freunden und den Mitläufern geht. Mitläufern! Für mich sind es Konkurrenten. Für Susanne ist es Gemeinschaft. Und so ist es für sie echt doof, jetzt am Ende, was sie doch genießen wollte, irgendeine Form von Schmerzen zu haben. Ich versuche, sie mit den Schmerzen zu versöhnen, in dem ich es mit einer Geburt vergleiche. Wunderschön und unendlich wertvoll, aber eben nicht ohne Schmerzen zu haben. Obwohl ich natürlich von dem Thema gar keine eigene Erfahrung habe, versteht sie die Allegorie und läuft weiter. Mit den anderen Schuhen.

Und der Vorsprung auf das Cut-Off wird immer größer. 6 Minuten, 8 Minuten. Wir laufen auf das Rheinorange zu. Es glüht in der Abenddämmerung. Alles ist da und wir traben die letzten paar 100 Meter zusammen runter. Susanne kommt sogar 10 Minuten vor Zehn an. Elias ist da, Susannes Familie ist da, Jens ist da. Alles ist da. Wunderbar!

Fazit: Obwohl es für mich schon das dritte mal war, dass ich Susanne über die TTdR supportet habe, war es diesmal etwas ganz besonderes. Sehr intensiv, sehr bewegend. Danke!



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